Juni 9, 2019

Sizilien entdecken – eine Woche im Südosten

Es gibt Reisen, die plant man von langer Hand. Man wälzt Reiseführer, sucht die perfekte Route, die spannendsten Sehenswürdigkeiten und arbeitet sich durch die geheimsten Geheimtipps. Unser Sizilientrip gehört nicht in diese Kategorie, er ereignete sich ziemlich spontan. Aber auch das hat seine Vorteile, denn so geht man mit offenen Augen und viel Raum für Spontaneität in den Urlaub.

Ätna? Palermo? Strandwetter? War da was?
Die klassischen Schlagworte haben wir mehr oder weniger links liegen gelassen. Stattdessen sind wir in eine Region gereist, die man nicht ganz so im Blick hat. Zu Unrecht übrigens.

Lust auf eine kleine Reise durch den Südosten Siziliens?
Dann nehme ich dich mit an meine ganz persönlichen Lieblingsorte. Manche haben mich nachhaltig begeistert, an anderen hatte ich einfach nur einen schönen Nachmittag. Aber alle haben bei mir Eindruck hinterlassen – und stecken voller Geschichte und Geschichten.

Siziliens Südosten – meine ganz subjektive Lieblingsliste

Nummer eins: Syrakus

Dass mir die Stadt gefallen würde, ahnte ich schon vorher. Ich wusste nur nicht wie sehr – sonst hätte ich dafür nicht nur einen Tag eingeplant. Mehrere tausend Jahre Geschichte auf wenigen Quadratkilometern und unglaublich viele Eindrück – ich bin immer noch dabei, alles gedanklich zu sortieren. Ganz nebenbei haben wir 20 km Fußweg zurückgelegt (aber jeder einzelne Kilometer war es wert).

Startpunkt und touristisches “must see”: der Parco Archeologico. Ein grandioses Areal mit den Ruinen eines griechischen Theaters und einem römischen Amphitheater, in dem heute wieder Aufführungen stattfinden.

Damit man auf der Tribüne sitzen kann, gibt es extra angepasste Holzbänke. Nur das Bahnwärterhäuschen oben habe ich nicht verstanden. Der Backstage-Bereich? Regie? Loge? Mannschaftsklo? Wer weiß das schon …

Am meisten hat mich jedoch ein anderer Teil der Anlage beeindruckt: Latomia del Paradiso, ein ehemaliger Steinbruch, der in einen Garten verwandelt wurde. Es fühlt sich dort ein bisschen so an, als würde man einen von der Zeit vergessenen Ort entdecken. Wie in diesen Filmen, in denen unter der Erdoberfläche ein Paradies (inkl. prähistorischer Wesen) schlummert. Nur hier ist der Garten oberirdisch und es gibt – soweit ich weiß – keine Dinosaurier.

Wer dem Weg folgt, erreicht das „Ohr des Dionysos“, eine gigantische, künstliche Höhle mit einer unglaublichen Akustik. Selbst wenn sich nur zwei Personen in normaler Lautstärke unterhalten, klingt es, als sei die ganze Halle mit Menschen gefüllt.

Höhle "Ohr des Dionysos" in Syrakus

Wäre der Ehemann nicht gewesen, hätte ich einen Wow-Moment verpasst. Er wollte unbedingt zur Kirche San Giovanni (und noch vor der langen Mittagspause). Ich wusste erst nicht wieso – später schon.
Hinter der eher unscheinbaren Kirche unten verbirgt sich der Eingang zu einer Nekropole. Syrakus hat eine unterirdische, 10.000 m² große Grabstadt, die ein regelrechtes Straßennetz mit Haupt- und Nebenstraßen besitzt. Besichtigen kann man die Katakomben nur mit Führung (die Guides haben einen ziemlichen Kommiss-Ton drauf) und fotografieren ist auch nicht. Aber ich fand die Besichtigung der (leeren) Grabkammern super spannend, zumal man dort auf viele Zeugnisse frühchristlicher Kultur stößt. Viele der Originalexponate findet man übrigens im Archäologischen Museum von Syrakus (das ist aber nur was für echte Fans – und Freunde von 70er-Jahre Charme).

Die Katakomben von San Gionvanni
In der Kirche San Giovanni kann man in die Unterwelt hinabsteigen …
Platz vor der Kathedrale von Syrakus

Die zauberhafte Altstadt von Syrakus befindet sich auf der Insel Ortigia und ist über zwei Brücken mit dem Rest der Stadt verbunden. Ach, hier hätte ich noch so viel mehr anschauen können. Einfach durch die Straßen und Gässchen treiben lassen und immer in Richtung Wasser spazieren.

Marionetten-Theater
Altstadtgasse in Syrakus auf der Insel Ortigia
Papyrus in Syrakus
Das. Ist. Papyrus!

Mein Papierliebhaber-Herz hüpfte vor Freude, als ich das sah. Das Schilf mit den lustigen Puscheln ist Papyrus! In Syrakus gibt es drei Werkstätten, in denen noch Papyrus hergestellt wird (also nicht die Pflanze, sondern das “Papier”. Natürlich musste ich mir ein Stück fertigen Papyrus kaufen. Auch wenn das nur Papier-Nerds verstehen können – ich war regelrecht aus dem Häuschen vor Begeisterung.

Altstadtgasse in Syrakus im Abendlicht
Jep, Archimedes ist hier auch mal aus der Wanne gesprungen.

Ach, Syrakus, du bist ein echtes Juwel. Auf einem Schild irgendwo in der Stadt habe ich sinngemäß gelesen: Vergiss Rom. Rom hatte eine Hochkultur. Wir hatten ein Dutzend.
Tatsächlich haben sich hier die Früh- und Hochkulturen die Klinke in die Hand gegeben. Wenn man sich vor Augen führt, wie viele Jahrtausende Menschheitsgeschichte auf diesem Fleckchen Erde passiert sind, läuft mir immer wieder ein ehrfürchtiger Schauer über den Rücken.

Nummer zwei: Ragusa

Mein zweitliebster Ort ist ebenfalls eine Stadt. Und auch dieser Tag war mit sportlichen Höchstleistungen verbunden, denn das war der Tag, an dem wir die 100 Etagen en passant schafften (dank Fitness-Tracker weiß man sowas ja neuerdings). Der Grund für diese Bergtour:

Blick auf Ragusa Sizilien
Blick auf Ragusa Superiore

Viele der Städte im Südosten wurden 1693 bei einem Erdbeben komplett zerstört. In Ragusa konnte man sich nicht einigen, ob man die Stadt an alter Stelle oder lieber einen Hügel weiter aufbauen sollte. Also hat man einfach beides gemacht. Und so kann man heute munter von der Unterstadt in die Oberstadt aufsteigen und andersherum. Ich frage mich, wie die älteren Stadtbewohner das schaffen …

schmale Gasse mit Treppe in Ragusa, Sizilien
Manchmal muss man erst in die Tiefe, um wieder aufzusteigen #Lebensweisheit
Blick auf Ragusa Ibla im Südosten Siziliens
Blick auf Ragusa Ibla, die Unterstadt.
Stadtaufbau Ende des 17. Jahrhunderts: Barock in alter und neuer Pracht.
Dom von Ragusa
Ich liebe diese Minigärten, an denen man ganz unverhofft vorbeikommt.
Domplatz mit San Giorgio
Domplatz in Ragusa

Wer sich fragt, ob die Weihnachtsbeleuchtung noch am Domplatz hängt: mitnichten. Wir haben das Fest San Giorgio um einen Tag verpasst. Der Hl. Georg, dessen Namen der Dom trägt, wurde das Wochenende zuvor gefeiert. Inklusive Prozession mit tonnenschwerer Statue durch die Gassen der Altstadt. Ganz großes Kino – ich tröste mich damit, dass wir sowieso keinen Parkplatz gefunden hätten …
Ringsum den Domplatz bekommt man übrigens hervorragendes Eis oder Granita.

Giardino Ibleo

Und der Stadtgarten von Ragusa, seufz. Der beste Ort, um seine Mittagspause zu verbringen. Im Schatten einer Palmenallee sitzen und vor sich hinträumen – es gibt Schlimmeres.

Und sonst so? Nummer drei bis sieben

Donnafugata

Ich könnte dir noch so viele andere spannende Orte zeigen. Das Castello Donnafugata zum Beispiel. Das kann man nicht nur innen besichtigen, es hat auch einen weitläufigen Garten. Darin findet man u.a. ein gemauertes Labyrinth. Ja, ich hab’s getestet und es hat deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen, als erwartet …

Da weiß man endlich, wo das Eis herkommt … #nachhaltig ohne Kompromisse

Tal der Tempel

Alles andere als ein Geheimtipp: das Tal der Tempel in der Nähe von Agrigent. Selbst Goethe war schon dort. Aber das Weltkulturerbe mit seinen unterschiedlichen griechischen Tempelanlagen ist wirklich beeindruckend. Das Areal erstreckt sich über ca. 2 km. Der Spaziergang ist also schon dabei. Jeden ersten Sonntag im Monat gibt es freien Eintritt!

Barock total

Scicli ist eine Kleinstadt, die sich herausgeputzt hat. Die Stadt mit dem seltsamen Namen (Schi-kli ausgesprochen) tut ziemlich mondän, ist dabei aber sehr verträumt und gemütlich. Die kleinste unter den Barockstädten im Südosten Siziliens.

Blick aus Tür einer Palazzo in Scicli
Straße in Scicli mit Kirche

Noch mehr Barock gibt es in Noto und Modica. Letztere ist auch für Schokolade bekannt. Hätte man in Sizilien nicht unbedingt vermutet, aber Schokoladenherstellung (mit einem speziellen Verfahren) hat hier Tradition. Als Leserservice habe ich die selbstverständlich getestet und sie schmeckt tatsächlich besonders (im positiven Sinne). Da die Schokolade bei konstant niedrigen Temperaturen geschmolzen und verarbeitet wird, löst sich der Zucker nicht komplett. Das sorgt für einen leichten Crunch und sehr schokoladiges Aroma. Ich mochte das sehr.
Wie man die Schokolade bei heißem Sommerwetter am Stück nach Hause bekommt, das ist eine andere Frage …

Essen, Trinken und Klischees

Wo wir schon bei Schokolade sind. Die Sizilianer backen verlockend gutes süßes Gebäck. Wenn man das schon zum Frühstück in mannigfaltigen Varianten angeboten bekommt, ist das mit der ausgewogenen Ernährung so eine Sache. Aber gut war es. Und im Urlaub kommt es ja sowieso auf andere Dinge an, oder?

Was ich an Italien und Sizilien so mag: Egal, wo man hinkommt, es ist quasi unmöglich, schlechten Kaffee zu trinken. Ob Cappuccino am Morgen oder einen Café (Espresso) zwischendurch – danke, immer gern. Und immer gut.

Ebenfalls als Leserservice ausprobiert: Kann man auf Sizilien mit dem Auto fahren, ohne durchzudrehen? Ja, man muss sogar – anders kommt man kaum von A nach B. Nach drei Tagen gewöhnt man sich auch dran und kann in die Städte fahren, ohne an jeder Ecke fast einen Herzinfarkt zu bekommen. Als Beifahrer wohlgemerkt.
Was ich gelernt habe:

  • Überholen geht immer. Zur Not macht man auf der durchgezogenen Mittellinie einfach eine dritte Spur auf.
  • Immer Blickkontakt mit den anderen Autofahrern suchen. Sonst weiß man nicht, wer wann fährt. Außer bei rückwärts ausparkenden Wagen. Hier gilt die Faustregel: Es parkt vor dir garantiert immer jemand spontan aus.
  • Im Zweifel ist es eine Einbahnstraße.
  • Versuche gar nicht erst, einen Sinn in Geschwindigkeitsbegrenzungen zu suchen. Knietiefe Schlaglöcher und Serpentinen: 80 ist super. Frisch geteerte, schnurgerade Fahrbahn über Land? 50, nicht schneller. Außer dir hält sich übrigens kein Mensch an die Geschwindigkeiten.
  • Es wird deutlich weniger gehupt, als gedacht.

Und was ist mit Meer?

Sizilien hat wunderschöne Strände mit feinstem Sand, vor allem im Südosten. Der Ausblick, den man genießt, wenn man vom Landesinneren auf die Küste zufährt – wunderschön. An den Buchten und Küstenabschnitten habe ich mich nicht sattsehen können. Mal tiefblauer Sommertraum, dann wieder türkisfarbenes Karibik-Feeling.
Nur zum Baden war es Ende Mai noch zu kalt (vor allem das Meer). Lustigerweise hatten wir angenehme 23° und Sonne – perfekt für Unternehmungen – während in Deutschland schwüle 30° herrschten.

Sizilien also. Über Palermo und den Ätna weißt du jetzt immer nocht nicht mehr. Aber vielleicht bist du neugierig auf den Südosten der Insel geworden. Mich hat der Mix aus Geschichte, eigenwilligen Städten und wunderschönen Ausblicken in seinen Bann gezogen. Dazu ein guter Kaffee und der Duft von Orangen- und Zitronenbäumen als steter Begleiter.

Urlaub kann ganz schön schön sein.

Lasse einen Kommentar da:

Your email address will not be published. Required fields are marked

  1. Liebe Frau Prause,

    also, da soll man noch ruhig auf seinem Sessel sitzen bleiben, wenn man derart tolle Fotos sieht. Manchen Ort habe ich mit meiner Frau zwar selbst schon bereist, aber das Auge für den harmonischen Anblick auf enge Treppchen, schmale Gassen mit Grünpflanzen und Aussichten auf hinreissenden Barock – das muss man haben.
    Und was für einen Geschmack haben diese Menschen. Alles passt hier zusammen: Der Topf für den Philodendron, die feinen Balkongeländer und die alten, wunderschönen Kirchen und Palazzi. Der ganze Ort ergibt dann ein Gebilde in der Landschaft, als wäre er hineingewachsen.
    Sie haben mir auf jeden Fall einen Trost gegeben, um die Zeit bis zur nächsten Reise (im Frühjahr?) besser durchzusteh’n.

    Vielen Dank und Grüße aus dem Allgäu

    Horst Lex

  2. Was Sie als "Bahnwärterhäusschen" bezeichnen ist eine alte, arabische Mühle. Im Mittelalter war das Teatro eben auch ein Nutzgelände, da es verfallen und ohne Gebrauch war. Agrigent und Scicli sind dann wohl eher der Südwesten, nicht wahr? Da hätte man eher noch über Augusta und Acireale nebst Acicastello und Catania schreiben können, und einen Extrabericht über den Südwesten; dann aber mit Selinunt, dem alternativen "Tal der Tempel". In Ragusa fährt eine Buslinie vom Bahnhof an die Kathedrale "San Giovanni Battista" in Superiore und dann bis hoch an den Giardino Ibleo, so schaffen es auch die alten Leute. Ja, in die Stadt Syrakus habe ich mich auch verliebt, keine Frage. Trotz meiner kleinen Kritik ein Lob für die Fotos und den Text. Übrigens: Ich habe das alles (und noch viel mehr, Akrai zum Beispiel), mit Zügen und Bussen besucht. Nicht einfach, aber machbar. Beste Grüße

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Bleib inspiriert!

Neue Beiträge, monatliche Inspirationsletter und Kreativ-News direkt in dein Postfach.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner