… und was das mit deinem Leben zu tun hat
Eins meiner liebsten Hobbys als Kind und Jugendliche war das Lesen. In den Ferien bin ich mindestens einmal die Woche mit dem Fahrrad zu unserer Kleinstadtbibliothek gefahren und habe einen großen Stapel Bücher gegen den nächsten getauscht. Je mehr Seiten ein Buch hatte, desto besser – dann hatte man länger was davon. Ich habe es geliebt, komplett in andere Welten und andere Leben einzutauchen.
Denn genau das passiert, wenn man eine gut erzähle Geschichte liest: Du erlebst, was die Hauptperson deines Buches erlebt. Durch Bücher kannst du ganz unterschiedliche Lebensentwürfe anprobieren, dich Dinge trauen, die du im echten Leben nicht wagen würdest. Du kannst die Welt bereisen, sie tatsächlich mit anderen Augen sehen lernen und der Frage auf den Grund gehen “Was wäre eigentlich, wenn …”. Alles gemütlich und gefahrlos vom Sofa aus.
Warum fesselt einen eine Geschichte und die andere nicht?
Aber vielleicht bist du auch schon über die anderen Geschichten gestolpert. Die, die irgendwie nicht richtig zünden. Die Figuren bleiben farblos, unglaubwürdig und du innerlich distanzierst. Alles wirkt seltsam zufällig – und dir ist es ziemlich egal, was dem Helden oder der Heldin auf den nächsten Seiten passiert.
Woran liegt das?
Ist der Schreibstil mangelhaft? Ist die Handlung nicht gut konstruiert worden? Passiert in der Geschichte zu wenig?
Sicherlich gibt es viele Feinheiten, auf die man beim Schreiben achten kann und sollte, aber du kannst ein sprachlich mittelmäßiges Buch haben, dass Tausende begeistert und elaboriert ausgearbeitet Geschichten, die einfach nur “naja” bleiben.
Der Dreh- und Angelpunkt einer Geschichte, die etwas mit dir macht, ist das “Thema” der Hauptperson. Dieses Thema ist ein ganz bestimmter Blick auf die Welt, entstanden durch Erlebnisse, Prägung, Umfeld … Es sorgt dafür, dass jede Menge Konfliktpotenzial entsteht und Probleme gelöst werden müssen. Wenn dieses Thema fehlt oder nicht glaubwürdig ist, geht die Geschichte den Bach runter und der Held ist einem herzlich egal.
Als Leser begleitet man den Protagonisten nämlich auf der Reise einer inneren Veränderung. Am Ende der Geschichte hat sich das Thema des Helden oder der Heldin verändert und der Blick auf die Welt ebenso.
Das Herz einer Geschichte
Wie jeder Mensch machen auch Hauptpersonen in Geschichten diese Veränderungen nicht freiwillig mit, sondern sie werden vom Autor durch Konflikte und Katastrophen in die richtige Richtung geschoben … (Klingt ein bisschen gemein, oder? Dient aber natürlich nur dem Besten unseres Helden.)
Ein Beispiel, das vermutlich die meisten kennen: Harry Potter. Klar geht es in den Büchern (oder Filmen) um eine Fantasiewelt, eine Zauberschule, Freundschaft und den Kampf gegen den ultimativen Bösewicht. Aber Harry hat auch ein eigenes Thema, mit dem sich fast jeder und ganz besonders Heranwachsende identifizieren können: die großen Fragen “Wer bin ich eigentlich, wo gehöre ich hin und bin ich wertvoll?” Sein Thema bestimmt, wie er auf die Dinge, Probleme und Krisen reagiert, die ihm in seiner Geschichte begegnen.
Warum erzähle ich dir das?
Dein und mein Leben ist eine Geschichte und wir sind deren Protagonisten. Als Helden unserer Geschichte haben wir auch unsere ganz bestimmte Sicht auf die Welt, wir haben alle unsere Themen.
Wenn du das Thema änderst, ändert sich die Geschichte
Hattest du beim Lesen schon mal das dringende Bedürfnis, die Hauptperson zu schütteln, weil sie sich selbst so sehr im Weg steht und das Problem doch offensichtlich ist und total einfach zu lösen wäre (ja, ich rede mit dir Scarlett O’Hara)?
Als Leser hast du mehrere Vorteile: Du weißt mehr (wenn der Erzähler der Geschichte allwissend ist, bist du es als Leser auch). Du hast den Überblick und genügend Abstand zur Handlung, auch wenn du emotional in die Geschichte eintauchst.
Im wirklichen Leben fehlen sowohl der Abstand, als auch die Allwissenheit. Du bist nicht der Leser oder Erzähler deiner Lebensgeschichte, du bist die Hauptperson, die Heldin. Ganz wie beim Protagonisten bestimmt dein Thema, wie du die Ereignisse deutest und auf sie reagierst und manche Konflikte gibt es überhaupt nur, weil ein bestimmtes Thema vorhanden ist. Du bist mittendrin statt nur dabei.
Viele Probleme würden sich auflösen, wenn man das Thema der Hauptperson ändert. Allerdings wäre die Geschichte dann auch ziemlich schnell vorbei. Stell dir vor, die Heldin (z.B. Scarlett) erkennt schon auf Seite 25, dass sie dem falschen Typen aus den falschen Gründen hinterherheult und der richtige direkt vor ihrer Nase sitzt. Gut für sie, schlecht für die Geschichte, das wäre dann nämlich nur noch eine Kurzgeschichte.
Im echten Lebens ist die Geschichte natürlich nicht zu Ende, wenn man das Thema ändert. Im Gegenteil: Sie bekommt ganz neue Perspektiven, weil sich auf einmal ganz andere Wege und Möglichkeiten auftun.
Wie du dein Lebensthema entdeckst
Um das Thema ändern zu können, musst du es aber erst einmal erkennen.
In einer Geschichte erfasst man das als Leser automatisch – auch wenn man es nicht immer benennen kann oder nur von Deutschlehrern dazu gezwungen wird.
Die spannende Frage ist: Wie findet man sein Thema im echten Leben?
Drei Dinge helfen dabei:
- Abstand
- gutes Beobachten
- die Frage “Warum?”
Alle drei Punkte kannst du verbinden, indem du Tagebuch schreibst. Sobald du dich hinsetzt und deine Erlebnisse und Gedanken zu Papier bringst, schaffst du ganz automatisch Abstand. Du sorgst dafür, dass du deine eigenen Gedanken außerhalb deines Kopfes betrachten kannst. Denn wenn du liest, was du geschrieben hast, nimmst du bereits eine andere Perspektive ein, als wenn du nur denkst, was du so denkst. Du wirst vom Helden der Geschichte zum Leser, zum Beobachter.
Wenn du dich wirklich auf die Suche nach einem Thema begeben möchtest, dann wird eine Sache zur echten Goldgrube: Konflikte. Das, was man sonst lieber vermeidet.
Die gute Seite von Konflikten
Das heißt nicht, dass du ständig welche provozieren solltest, aber du kannst anfangen, sie zu beobachten. Schreib dir eine zeitlang auf, welche Konflikte du erlebst, welche Probleme dich stressen und worüber du dich streitest. Tauchen manche Sachen wie ein Muster immer wieder auf? Bingo! Du hast eine Spur.
Zum Kern der Sache stößt du vor, wenn du das hilfreiche Wörtchen “Warum” einsetzt. Frag dich, warum es zu diesem Konflikt kam. Wenn du meinst, du hast die Antwort, dann frag noch einmal “warum”. Warum ist die Antwort so, wie sie ist, was steckt dahinter? Lass deinen inneren Vierjährigen raus und denke so lange über das Warum nach, bis du beim Kern angekommen bist. Im Kern befinden sich übrigens immer Ängste, Sehnsüchte oder Bedürfnisse.
Wenn du ein Thema bei dir entdeckst, ist das kein Grund zur Panik und nichts, weswegen man sich schämen müsste. Das ist kein Zeichen von Scheitern oder Schwäche oder Versagen. Das ist ganz normal. Jeder hat Themen. Jeder.
Du erinnerst dich: Ohne Konflikte wäre eine Geschichte ziemlich öde und der Protagonist farblos. Du kannst dir also gratulieren, weil du ein spannendes Leben lebst und eine Persönlichkeit mit Tiefe hast!
Ein Thema muss übrigens nicht immer nur negativ sein. Manchmal spornt es dich auch an und lässt dich große Ziele erreichen. Wie die meisten Dinge haben auch Themen zwei Seiten: die, die dir helfen und die, die dich behindern.
Wenn du dein Thema kennst, hast du allerdings einen riesigen Wissensvorteil. Wenn du weißt, was wirklich hinter manchen Episoden deiner Geschichte steht, kannst du viel informierter für dich entscheiden, ob du das so lassen möchtest, oder ob du etwas ändern willst.
Und an der Stelle wirst du zum Autor deiner Geschichte. Du entscheidest, ob du Scarlett-mäßig 1000 Seiten lang einer Illusion nachjagst, oder ob du die Zeit und Energie für andere Dinge einsetzen willst. Du kannst Entscheidungen treffen. Und das ist eine ziemlich große Sache.
Ist das einfach? Nein. Geht das schnell? Auch nein. Aber ist es nicht ein riesiges Geschenk, dass man Tag für Tag sein Leben mitschreiben kann?
Wie siehst du das? Schreib deine Meinung gern in die Kommentare.